Sonntag, 9. Juni 2024

TBJ_99 I did it my way (even on a highway)

Liebe Follower, eine letzte Post vom Chronisten. Wer immer auch bis hierhin mitgereist ist. Schön, dass es euch gibt. Man ist ja ungern allein auf der Welt. Mr. Sinatra berühmtes Lied kommt ihm in den Sinn. Vermutlich eine persönliche Nationalhymne für viele Menschen. Und vielleicht eine zutreffende, charmante Zusammenfassung seines kleinen Abenteuers. Dieser sechsten fragmentarischen Welterkundung mit Rennrad und leichtem Gepäck.

1185 km im Sattel, 4500 km im Greyhound

Der Chronist sitzt im Flieger nach Amsterdam. Natürlich nicht in dem, der geplant war. Er hätte den Anschluss in Seattle von San Francisco nicht erreicht, also schickte man ihn nach Los Angeles. Auch da wurde es knapp und fast hätte er die umgebuchte Maschine gar nicht besteigen können. Die automatische Schranke am Gate ließ ihn nicht durch. „See an agent“ und dieser Agent teilte dem Chronisten mit, dass die Maschine überbucht sei und er nicht mitfliegen könne. Irgendwer ist dann nicht gekommen und man wollte wohl auch Ärger mit dem durchgecheckten Rennrad vermeiden. Also ging er als Letzter an Bord und schaut jetzt aus dem Fenster.

Er hat noch nie eine so große zusammenhängende, lebensfeindliche und doch faszinierende Landoberfläche gesehen, wie sie unter ihm durchgleitet. Gerade verschwindet Las Vegas und des Chronisten unsichtbare neunte Linie von Mesquite dahin.

Zwischen LA und Salt Lake City

Unter einem grauen New Yorker Himmel war er vor zwanzig Tagen angekommen und hat in ein fröhliches Blau hinein in Kalifornien die Heimreise angetreten. Dazwischen lag eine Linie, ein Schnitt durch ein riesiges Land, mit Menschen, die ihm immer wohlgesonnen waren, die ihn in weißen Laken beherbergt, ernährt, unterhalten oder einfach in Ruhe gelassen haben.

Er hat 1185 km im Sattel gesessen und ein Vielfaches in Bussen. Er hat das Glück, sich das leisten zu können, hat das Glück einen Pass zu besitzen, der ihm die Freiheit gewährt, in alle Welt zu reisen und schließlich hatte er Glück im ganzen Vorhaben. Auch mit der eigenen Technik. Außer drei Plattfüßen hat das Rennrad ihm keinen Ärger gemacht. Diese leichtfüßige Konstruktion aus Carbon hat gehalten, diese präzise Technik aus Japan hat immer schön gearbeitet, Simon Geschke hat vorn im Wind tapfer ausgehalten und trotz ruppiger Stauprozesse in die Buskeller nicht mal seinen Helm verloren.

Der tapfere Simon

Er selber hat keinen zu großen Mist gemacht und immer versucht, gut aufzupassen. Das eine Mal, als er mit eineinhalb Bier intus doch leichtfertig war, hat der Autofahrer es für ihn getan. Auf den Highways und Interstates hat ihn kein luschig befestigtes Dixiklo aus dem Sattel gefegt, kein loser Spanngurt eines Trucks ausgepeitscht. Nein. Er ist heile angekommen. Danke, wer immer dafür mit aufgepasst hat. Er ist besonders euch allen dankbar, denen, die bei der Vorbereitung mit Hand angelegt haben, denen, die ihm seinen Segen gegeben haben, was ihm ganz wichtig war, allen, die sich unterwegs geäußert haben, was immer besonders schön ist. On Top die Enkelvideos. Dankeschön, Männer! Und besonders dir Lea, die du jeden Morgen vor der Arbeit dir die Texte aus dem Himmel geholt hast, sie mit den richtigen Fotos versehen und am Ende feingeschliffen hast. Weder hatte der Chronist mit dem Mini-iPhone das nötige Werkzeug, noch hätte er die Luft dafür gehabt.

Er kann es nicht genug sagen, Glück, er hat immer ganz viel Glück gehabt. Nicht jeder Tag war glanzvoll, mit Recht. Dafür leuchteten die anderen dafür um so heller. 

Es war genau richtig, in Palo Alto, im Silikon Valley anzukommen, der Goldgräberstadt des digitalen Zeitalters. Die Bescheidenheit der alten Googlezentrale zu sehen und die beiden neuen Kathedralen des Unternehmens zu umrunden. Riesige, silbrig filigran gefächerte Zelte, die im Innern bis unter die Dachhaut offen sind. 

Googleplex; fahrbarer Friseur, damit keine Zeit verloren geht

In die brandneue Zentrale von Microsoft reinzuschneien, einfach so reingehen zu dürfen, jedenfalls in den vorderen Bereich, teilhaben zu können an einer AI-Konferenz. Weil er ja schon einiges an dieses Unternehmen gezahlt hat, hat er sich auch ohne schlechtes Gewissen am Buffet mit Gemüse und leckerem Dip bedient.

Der Chronist als Alice im Wunderland

Die fast heruntergekommene riesige NASA-Zentrale mit eigenem Flugplatz von außen zu sehen und zu ahnen, dass mit sowas kein Geld verdient wird. Richtig gemacht.

TBJ, Trump, Biden und Jesus. Am letzen Tag ereilte ihn noch Wang Dou. Der Chronist hatte morgens geklüngelt und kam ziemlich spät in den Frühstücksraum des Motels. Dort saß ein stämmiger Asiate und daddelte. Der Chronist machte sich am Buffet zu schaffen und gab sein obligatorisches „How is it going?“ von sich. Gebrummel vom Nachbarn. Aus dem nichts kam dann eine Tirade auf die Politik und die Geldmacht und das Fehlen von Wertschätzung menschlichen Verhaltens. Er sei Investor und verfolge die Idee, Geldtransfer per Gesichtserkennung mittels AI zu organisieren. Hatte aber offensichtlich Probleme mit dem aktuellen Umgang der Menschen untereinander. Es gipfelte in der Feststellung, dass es zu wenig Liebe gäbe. Ohne Liebe sei ein Mensch kein Mensch, ohne Liebe sei das Leben nichts! Das veranlasste den Chronisten, seine Frage loszuwerden. Sein Nachbar brauchte nicht sehr lange, zu erfassen was dieser wollte. Er erzählte, er sei Chinese aus Shanghai, lebe seit langem in Toronto und hat eine Familie mit zwei Kindern. Jesus hin oder her, wenn es so eine Art Heiligen in China gäbe, dann 100 für ihn. Auf den Einwand des Chronisten, ja aber einer muss ja irgendwie auch die praktische Arbeit erledigen, änderte er seine Meinung in 10-0-90. 

Wang Dou, in chinesischer Schreibweise kommt der Nachname zuerst.

Wang Dou dachte kurz über alles nach, wurde von Emotionen übermannt, entschuldigte sich und fing an zu weinen, schluchzte aus tiefstem Herzen. Man verabschiedete sich aus diesem kleinen Motelfrühstücksraum mit einer Umarmung. Was sollte das denn jetzt?



Weil er ja Ingenieur ist, hat der Chronist die ganzen gesammelten Zahlen in ein einfaches Diagramm gepackt. Wer mitgereist ist, ahnt, dass das Tortenstück Jesus übermächtig groß wird. 


Die eigene Befindlichkeit des Chronisten, die ihn zu dieser Frage geführt hat, scheint viele umzutreiben. Seine Umfrage ist nicht repräsentativ im wissenschaftlichen Sinne. Aber es ist doch ein gewisser Schnitt durch das ganze Land, vom Zufall und von der Weise der Kontaktaufnahme bestimmt. Der Chronist kann die Gesamtheit seiner Gegenüber grob einteilen. In den Rand der intellektuellen Seite, die meint Glauben und Gefühle haben in der Politik nichts zu suchen. In den anderen Rand der stark religiösen Seite, die in der Einbeziehung der Person Jesus in die Politik fast ein Sakrileg sieht, ein paar wenige, die sich für beides nicht interessieren und dann ist da die große Mehrheit, die es sofort verstand und unbefangen Antworten gab, die ihrer Intuition, ihrem inneren Bedürfnis entsprach.

Der Chronist denkt sich seinen Teil, maßt sich aber nicht an, euch damit zu behelligen. Jeder wird eine eigene Idee haben. Ein nüchternes Ergebnis ist, dass er sich nicht vorstellen kann, das Mr. Trump Präsident wird. Und wenn doch, ist es dem sonderbaren Wahlsystem zu verdanken. Die Erde wird sich auch dann weiterdrehen. 

Er hat vor allem Menschen getroffen, ob sie 100 % für Mr. Trump waren oder ein großes Tortenstück Mr. Biden zuschlugen. Niemand aus dem jeweiligen Lager hat nach Schwefel gerochen! 

Ans Ende noch ein Ausschnitt aus Jack Kerouac, der sich anschließend nach San Francisco aufmachte:


Sie redeten von der Ernte, die sich nach Norden bewegte. Es war warm und milde. Ich wäre am liebsten losgelaufen und hätte Rita noch einmal geholt und ihr viele Dinge gesagt und sie diesmal richtig geliebt und ihre Angst vor Männern beschwichtigt. Jungen und Mädchen in Amerika haben es nicht gut miteinander; sie müssen perfekt sein und deshalb wird von ihnen erwartet, sofort miteinander ins Bett zu gehen, ohne vorher richtig zu reden. Kein Umwerben – keine echten und ehrlichen Gespräche über die Seele, wenn doch das Leben heilig und jeder Moment kostbar ist. Ich hörte die Lokomotive der Denver-and-Rio-Grande-Bahn fern in den Bergen…

Das ist mal ein schöner Abschnitt. Doch grundsätzlich: Der Chronist hätte auf keinen Fall mit ihm tauschen mögen. Wie viel Zeit und Erleben man doch im Rausch verplempern kann (sagt er heute).

Mai/Juni 2024

PS Irgendetwas ist ja immer. Aber besser so als andersrum. Der Chronist ist vollständig und pünktlich in Amsterdam angekommen. Sein Renner nicht. Hat wohl die kurze Umsteigezeit in Los Angeles nicht geschafft. Und muss nachgeliefert werden...

PSS Es ist Januar 2025. Präsidentenmäßig gab es eine rasante Entwicklung. Man hat Joe Biden aus dem Wahlkampf gedrängt. Kamala Harris sollte es werden aber große Teile der Bevölkerung trauten ihr keine Wirtschaft zu und so haben im November siebzig Millionen Amerikaner Mr. Trump zu einem klaren Wahlsieg verholfen. Am 20. Januar ist er mit großem Spektakel in sein Amt eingeführt worden. Am 21. hat er vor 20000 Zuschauern und im Fernsehen natürlich in einem Eishockeystadion an einem kleinen hölzernen Tisch einen Wust von Dekreten unterzeichnet, die seinen Handlungswillen untermauern sollen. Unter anderem wird das Recht auf Staatsbürgerschaft der im Lande neu geborenen gestrichen, deren Eltern sich dort nur vorübergehend aufhalten. Schon vor seinem Amtsantritt hat ein harter Hund von Abgesandtem in seinem Auftrag den israelischen Staatschef Netanjahu dazu gezwungen mit den Palästinensern einen Waffenstillstand abzuschließen, was der Bidenadministration über Wochen nicht gelungen war. Israel erhält von den USA jede Menge Unterstützung, was wohl eine gute Verhandlungsmasse war.

Der Chronist hat den Eindruck, dass Mr. Trump auch so etwas wie einen Kulturkampf führt.

TBJ_99 I did it my way (even on a highway)

Liebe Follower, eine letzte Post vom Chronisten. Wer immer auch bis hierhin mitgereist ist. Schön, dass es euch gibt. Man ist ja ungern alle...