Dienstag, 4. Juni 2024

TBJ_16 Zwischen LA und San Francisco

Eine Reise ist keine Aneinanderreihung von Höhepunkten. Und nach Las Vegas ist erstmal runterkühlen nötig. Von Mrs. Paris schönem Pool und der Rooftopbar musste der Chronist kilometerlang durch die ganze Herrlichkeit des Glitzers und Getöses Richtung Flughafen zum Busterminal. Riesige Casinos, riesige Hotels, Fontänen und rauschende Wasserfälle, riesige elektronische Billboards, die einen mit ihren Weißblitzen ziemlich erschrecken. Jetzt hat er es einmal leibhaftig gesehen, sogar aus dem Rennradsattel. Haken dran.


Stadtpolizei; ein Bild, mehr war nicht drin. Der Bus fährt gleich

Irgendwie unbegreiflich, diese Kunstwelt mitten in der Wüste. Unbegreiflich auch, wie man sich das als Alterssitz aussuchen kann, wie das ältere Pärchen, das anfangs in Able&Baker neben ihm saß. Man kann zum Beispiel ja nicht mal vor die Stadt und im Wald spazieren gehen. Es gibt keinen!


Der Chronist sitzt im Greyhound zwischen Los Angeles und San Francisco. Der jetzige Fahrer ist der Hit. Durchaus schon grauhaarig, eine seriöse Figur mit asiatischen Wurzeln, rappt er die Ansagen zu den Regeln, zu den Haltestellen und andere Begebenheiten ins Mikrofon. Der Chronist kann nicht anders und muss klatschen.

Draußen ist es bewölkt und langweilig platt. Links Obstplantagen, rechts Obstplantagen, der Mittelstreifen der Interstate ein Blütenmeer aus rosa, roten und weißen Oleanderbüschen. Zwischen solchen Städten ist der Transportbedarf hoch, der Bus entsprechend voll. In LA sprang der Chronist dem Reisetod durch Regelverstöße noch mal gerade so von der Schüppe. Es war seine zehnte Greyhoundtour, aber das Personal wollte sich noch mal auf die Hinterbeine stellen. „The bike has to be in a box!“ Obwohl er ja als Umsteiger mit der Foliensparverpackung hergekommen war. Es wäre die Boxvariante sowieso Quatsch. In diesen Bussen der Marke Prevost ist für die heutigen Koffergrößen viel zu wenig Stauraum. Ein Rennrad in Box würde ein halbes Fach blockieren. „Ich kenne dich jetzt“, sagte der Einweiser. „Beim nächsten Mal kommst du nicht mit!“


An dieser Stelle wird der Chronist mal etwas frech. Wer immer das auch blockiert, dass hier andere Bushersteller in den USA nicht den Fuß in die Tür bekommen, ist dumm. Jedes europäische Überlandfahrzeug hat Stauraumhöhen, dass das Rad drin stehen könnte und diese geteilte Frontscheibe hat man in Europa schon seit den achtziger Jahren nicht mehr.


Was der Chronist die ganze Reise unterschlagen hat: Von New York bis nach hier ist auch ganz viel Südamerika im Lande. Alle Hinweise, von der Toilette bis in den Supermarkt oder in den Bus sind zweisprachig, englisch und spanisch. Und die Menschen sind allgegenwärtig. Als armer Teil der Bevölkerung sitzen sie in großer Zahl mit dem Chronisten im Bus, oft ohne Englischkenntnisse. Sie sind einfach da und machen, besonders hier im Süden, einen großen Teil der Bevölkerung aus. Neben ihm sitzt Gabino, keine vierzig Jahre alt, seine Herkunft ist Mexiko. Er spricht perfekt Amerikanisch, startet gerade mit einem Verwandten ein Umzugsunternehmen mit einem Lastwagen. Für ein symmetrisches Lächeln fehlen ihm vorne zwei Zähne. Bei seinen  Einkommensverhältnissen wird das wohl so bleiben. Er ist unterwegs zur Graduierungsfeier einer Nichte. Gabino ist politisch nicht interessiert, beklagt sich aber auch nicht. Seine Antwort ist: 0-0-100. Ein Foto von sich möchte er nicht.


Wenn es im Moment auch langweilig ist, auf Palo Alto, und Google Plex freut sich der Chronist und überlegt sich, sich noch heute auf‘s Rad zu schwingen, um im Tal der Schnelldenker einen Tag mehr zu haben. Erstmal in Tracy einen Kaffee und was Süßes nehmen und weitersehen.


Es ist jetzt Abend. Er ist in Tracy geblieben! Die Idee war gut, der Wind aber von der Sorte aus dem Blasebalg, der für eine Mund-zu-Mund-Beatmung gereicht hätte. Also hat er beschlossen zu bleiben, nach Kaffee und Kuchen und nach einem Friseur zu suchen. Die Stadt macht einen wohnlichen Eindruck, sauber, schöne Grünanlagen, eine Art altes Kino als Art Center. Überhaupt legt ihm diese Idee, in großen Städten anzukommen und in Tagesdistanz dazu zu starten, eine Perlenkette gemeinhin unbekannter, aber oft sehr charmanter Kleinstädte vor die Füße. 


Der Friseurladen gleich zu Beginn hatte eigentlich zu, aber die Chefin war mit ihren Töchtern im Laden, fragte ihn komplett aus und schickte ihn um die Ecke zu einem Barber. Sie hieß Samantha, offenbarte ohne zu zögern 0-0-100 und wollte kein Foto, obwohl es sicher eine Bereicherung der Bildersammlung geworden wäre. Ihre beiden kleinen Töchter schickt sie auf eine Privatschule. Als der Chronist seine Abneigung gegen diese Klassentrennung äußert, liefert sie den Grund. Auf den kommunalen Schulen wird keine Religion gelehrt, was ihr aber ein Anliegen ist. Eine moderne jung Frau!

Auf den Barber muss er warten. Auf ausgezeichnete kleine Küchlein einer kleinen asiatischen Bäckerin, mit entwaffnendem Lächeln und einem ganz präzise geflochtenen dicken, schwarz grau melierten Zopf nicht. Zusammen mit einem Americano, „bitte nur halb Wasser“, ein Genuss!


Carlos legt mit Sorgfalt und Können Hand an des Chronisten Kopf. Der will ja morgen bei Mr. Google nicht als Vogelscheuche auftauchen. Natürlich muss auch der Barber gefragt werden und liefert, was sonst 0-0-100. Er ist in den Staaten geboren, mexikanischer Herkunft und dreiundzwanzig Jahre alt. Er mag Mesut Özil und Toni Kroos und interessiert sich für kulturelle Gemeinsamkeiten. Klar, ein Foto gerne und ich solle ihm das bitte schicken.



Carlos weiß was er tut

Zwischen Los Angeles -da ist er nur umgestiegen- und San Francisco -da will er gar nicht hin- liegt das Hauptquartier von Google. Für den Chronisten der Inbegriff der jüngeren enormen Umwälzung der Alltagswelt und das Werkzeug, das ihm diese Art der fragmentarischen Welterkundung überhaupt möglich macht. Heute Abend wird er deswegen auch noch mal waschen, um für den Besuch bereit zu sein. Was immer sie bereit sind, ihm dort  zu zeigen oder ob sie ihn überhaupt einlassen.

Dann ist auch bald gut! 

Euer Berichterstatter, live aus Tracy.


Klo bei Mrs. Paris H. und im Quality Inn

PS: Davon hat solche Art zu reisen reichlich: Dolle Unterschiede

PSS: Im Fernsehen läuft gerade Fußball. Deutschland Ukraine, übertragen vom pro Trump Sender Fox, englisch kommentiert, witzig die Namensaussprache.

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