Hamilton Mack Laing hat lange vor dem Chronisten seine sechs Zentner Harley Davidson Doppelwums hier durchgeritten, 1915. Sand und Schlamm machten ihm zu schaffen. Der Chronist reitet auch über den Kontinent, aber weitaus komfortabler. Mr. Laing wäre von der präzisen Betonfahrbahn begeistert. So würde er sich nicht mehr, wegen der im weichen Sand wild herum schleudernden Maschine, am Auspuff die Innenseiten seiner Schenkel verbrennen.
Aber auch der Chronist hatte zu leiden. Er hatte Gegenwind, 100 km präzisen Wind von vorn. Nicht streichelnd von schräg oder als Puff in die Seite oder mal als Klapps auf den Hintern. Nein, immer voll auf die Zwölf. Und so war dieser Tag kein Radtag im üblichen Sinne, es war im modernen Sprachgebrauch ein hartes Workout.
Blaue Line und Wind; präzise Gegner
Der Chronist muss hier einmal rumheulen. Das war nicht fair! 25 km/h Wind gegen sich zu oder hinter sich zu haben sind Welten! So.
Es war kein Problem, gestern nach Mitternacht noch eine Herberge zu finden. Die Entfernungen sind so riesig, dass Betten, heißer Kaffee und ein Bier immer und überall zur Verfügung stehen. Das Bett war sauber, die Dusche hatte noch unendlich heißes Wasser und es ist ihm keine Farbe auf die Zahnpasta geblättert, obwohl die Decke danach aussah. Morgens stellte er fest, dass eineinhalb Meter vor seinem Fenster die Welt an einem Bretterzaun endete. Die tamilische Betreiberfamilie war freundlich. Er hat nur Fragmente des continental plastic breakfast verzehrt, sich auf den Weg gemacht und beschlossen, es heute entspannt zu handhaben.
Die saubere hellgraue Betonfahrbahn hat saubere Stöße. Nichts rattert. Die Oberfläche ist in Längsrichtung rilliert, die Autofahrer verzeihen ihm den Gebrauch der Fahrbahn. Das Land ist hier so eben, dass man in der Entfernung die Erdkrümmung für einen sanften Hügel hält. Tatsächlich gibt Google für zehn Kilometer Länge eine Erdkrümmung von fast acht Metern an. Und zehn Kilometer kann man nach Meinung des Chronisten überblicken. In seiner Muße überlegt er, mit welch riesigen Caterpillars die erdgeschichtliche Entwicklung hier vorgegangen ist. Oder sie hat im Prinzip des Fließestrich einmal alles mit Boden grob bedeckt, mit Wasser getränkt und mit zwei, drei Erdstößen den Brei präzise verteilt. Es ist fast unheimlich eben.
An den riesigen Ackerschleppern, den endlosen Güterzügen neben der Straße und den massiven Getreidesilos ahnt man, was hier hauptsächlich passiert.
Arbeit, Arbeit, Arbeit
Bevor der Chronist heute in den Jammer- und Leidensmodus überwechselte, sinnierte er wie immer. Man hat ja auch Langeweile, besonders, wenn die Landschaft nichts hergibt.
Er entwarf Reden, dummes Zeug, ventilierte Beziehungen, lobpreiste die Enkel rauf und runter, dachte über seine Kundschaft nach und probte schon mal das letzte Kapitel.
Vier Kilometer hat er auf diese Gelegenheit gewartet; eine Möglichkeit sein Rennrad anzulehnen, um Pause zu machen
Er ist froh über seine Erfindung des hopon-hopoff. Er erinnert sich an einen Bekannten, der den Mississippi von der Quelle bis zur Mündung gefahren ist, irgendwas bei 3000 km. Dessen Antwort auf die Frage des Chronisten nach drei beherrschenden Eigenschaften dieser Tour beschränkte sich auf zwei: Langweilig und abenteuerlich. Der Chronist ahnt die Langeweile und braucht sie überhaupt nicht. Er muss und will nicht Langeweile im Überfluss haben, nur um die Kilometer zu fressen.
Er schreibt diese Zeilen in Cozad, 3000 Einwohner in dieser geplätteten Landschaft im Meridian Tap House bei Salat und Kaffee. Cozad liegt am 100sten Meridian.
Irgendwie macht man es sich immer schön
Farmer, alte Menschen, Familien, die sich einen schönen Tag machen wollen sitzen ziemlich schweigsam und warten auf diese Essenskörbe, ausgelegt mit rotweiß karierten Servietten, in denen sorgsam dekorierte Sandwiches mit Chicken, Turkey, Bacon oder Beef serviert werden. Sie trinken Wasser oder Cola, immer mit Eis und ob Kaffee oder Kaltgetränk, jedem liegt ein Strohhalm bei.
So, der Chronist muss weiter, er hat erst sechsundzwanzig Kilometer auf der Uhr. Kristina, die Chefin gibt ihm noch fix zwischen Papierkram ihre Antwort: 10-10-80. Sie hat nicht glauben können, dass Mr. Trump je Präsident werden könnte und das ganze für einen PR Gag gehalten.
Kristin führt eines dieser charmanten, überall zu findenden Restaurants, die nicht einer Kette angehören
Der Wind ist widerlich und die Straße so elend gerade. Der Chronist mag gar nicht hochschauen, in der Hoffnung ein Ende zu sehen. Jedes Mal ist dieser Anblick, der in flimmernden Luftspiegelungen in der Unendlichkeit endenden grauen Linie, wie ein Peitschenhieb. Schließlich läßt er es. Unterlässt auch den Versuch, den Schnitt noch irgendwie ansehnlich zu halten. Er registriert nicht einmal besonders, als nach fünfundsechzig Kilometern die Straße einen leichten Knick macht. Er macht einfach noch mal einen Stop, Crady, 300 Einwohner und eine Tankstelle mit Minimarkt. Der beschert ihm die preiswerteste Pause bisher.
In Brady einmal satt für drei Dollar fünfzig
Auf den Brennholzpaketen für sieben Dollar das Stück verzehrt er den Einkauf. Der Anblick der Kneipe gegenüber ist ein Bestandteil des überall sichtbaren Wandels.
Im Osten ist man ja eher schweigsam, auch auf dem Land. Aber Tagg redet mit dem Chronisten ein paar Worte. Nach dessen Einkauf fragt er ihn aus. Tagg teilt nicht auf. Er spricht Jesus alles zu und wird Trump wählen, der seiner Meinung nach viel für das Land getan hat.
Tagg ist Pensionär, lebt in Crady und hat für die Eisenbahn gearbeitet
North Platte heißt der Zielort. Platte ist Programm für diese ganze Gegend. Ein zentraler Ort für die Eisenbahn. Die einzige Stadt in dem umgebenden County. Der Chronist macht eine neue Erfahrung. Man kann auch preiswert und schön unterkommen. Ein irgendwie niedliches Motel fällt ihm vor die Füße. Fein draußen, fein drinnen.
Manager Yonn
Yonn mit seinem freundlichen Mondgesicht managt das Geschäft. Die Eigentümer sind aus. Es ist ein wirklich äußerst gemütlicher und sorgsam geführter Laden. Nach dem geschäftlichen Check in ist Yonn dran. Er findet die Frage seltsam, interessiere sich nicht für Politik und wird erst redselig, als der Chronist fragt, was er an der Politik im Moment am meisten vermisse. Niedrigere Benzinpreise. Zu Trumps Zeiten war die Gallone bei zwei Dollar dreißig und stieg dann auf zwei Dollar fünfzig. Zu Bidens Amtszeit stieg der Preis auf fast vier Dollar und liegt jetzt bei drei Dollar fünfzig. Das ist für ihn teuer. Ja, auch er mag diese Liberale gegen Konservative Diskussion nicht leiden. Würde man beide Parteien in einen Raum sperren, käme es sicher zu Prügeleien. Am Ende bietet er dem Chronisten 50-25-25. Der hat die Idee, dass Yonn als Nativ Person mit Jesus nicht viel anfangen kann.
Aus einer Eingebung heraus hat der Chronist zu Hause im Drogeriemarkt sein schmales Gepäck um eine Einzelportion Entspannungsbad ergänzt. Fast alle amerikanischen Bäder haben auch wirklich noch eine Badewanne. So auch sein niedliches Motel. Er genießt nach dieser Quälerei heute einmal blaue Entspannungssuppe.
Morgen hat er ja bis ein Uhr Zeit. Er wird sein Publikum durch diese Kleinstadt führen. Aus den amerikanischen Serien oder Filmen kennt er so etwas eher nicht.
Jack Kerouac trampte 1947 in Gesellschaft auf der Ladefläche eines offenen Lasters durch North Platte. Weil der Laster keine Seitenklappen hatte, und wegen der schlechten Straße waren sie ständig in Gefahr herunter zu fallen.
Montana Slim und die beiden Highschool-Typen wanderten mit mir durch die Straßen von North Platte, bis wir einen Schnapsladen fanden. Sie warfen was dazu, auch Slim, und ich kaufte eine Flasche. Hochgewachsene Männer mit mürrischen Mienen beobachteten uns aus Häusern mit falschen Stuckfassaden; die Hauptstraße war gesäumt von quadratischen Schachtelhäusern. Endlose Ausblicke auf die Prärie öffneten sich hinter jeder der traurigen Seitenstraßen. Ich spürte, dass in der Luft von North Platte etwas anders war, aber ich wusste nicht, was es war. Fünf Minuten später wusste ich’s. Wir stiegen wieder auf den Laster und brausten los. Es wurde rasch dunkel. Wir tranken alle einen Schluck, und als ich mich umschaute, waren die grünen Felder am Platte River plötzlich verschwunden, und stattdessen sah man, so weit das Auge reichte, weite Ödlandflächen, nur Sand und Gestrüpp. Ich staunte. «Was zum Teufel ist das?», schrie ich zu Slim hinüber. «Das ist Weideland, Mann. Gib mal die Flasche rüber.»
Allen einen schönen Tag und gutes Gelingen.
Hallo Detlef. Langeweile - wer hätte das gedacht? Zu gerne würde ich etwas von den Reden hören, die der Chronist da unterwegs so in aller Einsamkeit erfasst.
AntwortenLöschenAber ich bemerke, dass bei der Datenerhebung die zunächst beobachteten scheueren Meinungen, bei denen man sich politisch nicht festlegen will (von wegen, 20-20-60!), jetzt eher durch direktere ersetzt werden? Kann sein, dass ich mich täusche...
Gute Nacht und gute Weiterfahrt!