Mittwoch, 22. Mai 2024

TBJ_04 Im Großraumtaxi in die Provinz

Moin zusammen, der Chronist kann quasi live berichten. Er muss ja nicht kurbeln. Sein erster Transittag im Greyhound. Die Gelegenheit zur Erholung. Gerade fragt er sich, wer überhaupt noch dran ist auf der anderen Seite. Es hat ja jeder sein eigenes Päckchen abzuarbeiten und derartig sensationelles wie einen Präsidentenabsturz mit dem Helikopter hat er nicht zu bieten. Er wird deswegen sein Backoffice in Todtenhausen um ein paar Screenhots der Statistikfunktionen vom Blog bitten. Also strengt euch an!


Am Morgen, mit dem großzügigen Frühstücksangebot des Hotels aus einem Kaffee und einem Gummidonat in der Hand, fragt er noch fix zwei Hotelgäste ab. Juana und Olivier. Sie ist aus Spanien und er aus Frankreich, Warum nicht auch Ausländern die Chance geben. So fix geht es dann nicht. Juana hält sich raus. Olivier hält nichts von Gefühlen in der Politik, so dass Jesus am Ende hier zum ersten Mal leer ausgeht: 10-90-0. Der Chronist denkt an Willy Brandt und kann sich nicht vorstellen, dass dessen besonderer Erfolg nicht auch aus seinen Gefühlen gespeist wurde. Vielleicht entwickelt in der Zeit, in der er aus Deutschland ausgesperrt in Norwegen im Exil leben musste. Auch Oliver hält Trump für einen unfähigen Politiker (an seine Zähne denkend verwendet der Chronist den Originalausdruck hier lieber nicht. Sein Blog ist ja auch in Englisch und er verteilt den Link auch hier bereitwillig). Olivier verblüfft ihn mit der Frage, welche Verteilung denn der Chronist vergeben würde und macht ihn damit sprachlos. Seine Antwort schließlich wird er hier erst nicht veröffentlichen. Was nichts mit den Zähnen zu tun hat.


Juana und Olivier, der Charme des Alleinreisens: Man geht auf andere zu; nicht im Bild das liebenswürdige Pärchen am Nachbartisch aus Neuseeland

Philadelphia ist eine Millionenstadt, eine Metropole. Sein Busdrehkreuz ist eine 50 m lange, verlauste und verlöcherte Stichstraße in einem verlassenen Gewerbegebiet. Keine Bank, kein Unterstelldach, keiner, der den Müll wegräumt. Mit den Worten seiner Lieblingsreklame von LIDL: Kann man so machen, muss man aber nicht! Am Publikum, das mit dem Chronisten auf die Busse wartet, ahnt man, dass es nicht sehr wesentlich zum Bruttosozialprodukt beiträgt. Trotzdem hat es mehr verdient, als eine Haltestelle, die eher wie ein Drogentreff aussieht. Ich hoffe, der Bürgermeister liest das irgendwie und sollte dabei auch noch erfahren, dass Busfahren nicht billig ist; Für diesen 300 km Trip zahlt der Chronist 100 $.


Auch eine Art von Müllvermeidung: Die Kamera gen Himmel richten. Im Bild nicht der Bus des Chronisten

Das Fahrzeug schließlich tröstet ihn über dieses Ungemach nicht hinweg. Weil noch von der eher niedrigen Sorte, ist sein Keller nicht für den Stehendtransport des Rennrades geeignet.


Der Alptraumsatz aus alten Tagen: The bike has to be in a box! Eigentlich, sagt die Fahrerin

Dafür interessiert es die schwarze Fahrerin nicht, ob er dafür ein Ticket hat. Mit fünf Mitfahrern ist man eher wie in einem Großraumtaxi unterwegs. Was Wunder, wenn die Rahmenbedingungen so wenig appetitlich sind. Super Sitzabstand, sauber und bequem, einzig die streifenförmig beklebten Außenscheiben erlauben nicht viel mehr Ausblick als aus einem Gefangenentransporter. Von der Gegend ist der Chronist überrascht, der Highway schlängelt sich durch eine hügelige, satt grüne Landschaft, die ihn fast ein bisschen an die Kasseler Berge erinnert (für den englischsprachigen Teil: Eine Landschaft entlang einer berüchtigten Autobahnstrecke in Zentraldeutschland ;-))


Hinter gestreiften Gardinen

So allein und ohne konkrete Aufgabe schwankt der Chronist öfter in der Einschätzung, was er hier überhaupt macht und hofft wenigstens etwas unterhaltsam zu sein. Ja, warum macht er das? Man könnte auch die Gegenfrage stellen: Warum nicht? Warum nicht eigenständig, ziemlich frei, mit Neugier und der Bereitschaft sich anzustrengen und dabei offensichtlich schutzlos in der Welt unterwegs sein?

Er denkt ab und zu an diese Begegnung vor Jahren in seinem bayrischen Lieblingscafe, beim Tortenkaiser Winklstübl. An den alten Mann am Nachbartisch, mit dem sein Sohn einen dieser raren Ausflüge vom Alleinsein machte. „Wenn man so alt und unbeweglich ist wie ich, bleibt einem nur von der Erinnerung zu leben“. Ja, denkt der Chronist und da ist es doch gut einen ordentlichen Vorrat zu haben.

Schließlich hat er noch sein zehrendes Haustier, dass ihm wahrscheinlich eher den Garaus besorgt, als der gewöhnliche biologische Verfall. In einer so verkürzten Zukunft macht man am besten noch fix was geht. Und man macht es so schön man kann und mit aller Liebe, derer man noch fähig ist. Bloß am Ende nicht am falschen Ende sparen.


Jetzt, nach den ersten Tagen dieser besonderen Tour, wo ihm schon auch noch die Hose flattert wegen der Dauer und Anstrengungen, ahnt er, dass es außer Begegnungen, Muskelkater und Fleischklopsen auch noch etwas anderes gibt: Bildung. So ist er Alain sehr dankbar, für dessen Hinweis auf den Präsidenten anfang der siebziger Jahre, Richard Nixon. Ein harter Hund, eine Person, über den ein Mitbewerber einmal sagte: 


An seine Lügen wird man sich länger erinnern als an seine legitime Arbeit. Er war der unaufrichtigste Mensch, dem ich in meinem Leben begegnet bin.


Das findet man in Wikipedia und man findet da auch den interessanten Hinweis, dass seine Erzfeindschaft gegen das mediale und politische Establishment und seine populistische Art zu reden, den geistigen Hintergrund für Mr. Trump oder Boris Johnson lieferten. Dabei hat er außerordentlich solide Dinge in seiner Amtszeit erledigt, wie eine erste Umweltschutzbehörde, eine Behörde für Arbeitsschutz, wie einen völlig neuen Umgang mit den Ureinwohnern. Der Chronist lag zu dieser Zeit in seiner persönlichen Entwicklung noch in den Windeln und unterlag zudem dem starken Einfluss linker Antikriegsaktivisten (die USA führten Krieg in Vietnam). Und so beschränkte sich seine Meinung zu Mr. Nixon auf den Spontispruch: Auch Nixon tut w…..

Alains Hinweis zielte auf des Chronisten Einschätzung, früher war mehr Liebe zwischen den Leuten. Wenn das so war, frage er sich aber, wie dann eine Person vom Charakter Mr. Nixons zu jener Zeit eine derart überwältigende Mehrheit für sein Präsidentenamt erzielen konnte? Ja, warum?!


Derweil ist sein Vordermann im Bus aufgewacht. Klar wird er die Frage des Chronisten beantworten, aber er möchte Gott nach vorne setzen. In seiner Reihenfolge und eigenen Währung heißt es: Jesus 110, Biden 80, Trump 75. Es gibt keinen Grund sich lustig zu machen. Irgendwie erscheint dem Chronisten diese Verteilung vernünftig abgewogen vorgetragen. In der hier verwendeten Reihenfolge und Zählweise würde es dann 28-30-42 heißen müssen.

Darryle

Das ist dann heute fast alles. In der kleinen Stadt Ebensburg hat ihn die liebenswürdige Busfahrerin herausgelassen. Während er sein Rennrad aus dem Keller puhlt, zündet sie sich zum dritten Mal ihren Zigarillo wieder an, tut ein paar Züge, streift ihn am Bordstein erneut aus, steigt mit einem „Take care baby“ wieder ein und rauscht mit dem fast leeren Fahrzeug von dannen. Der Chronist ist überrascht von der Sauberkeit der Stadt, von den alten Häusern aus rotem Klinkerstein oder Holz. Gar nicht sein Bild von Amerika, das er ja auch mehr im Westen geprägt hat. Es gibt eine Gaststätte mit einer ziemlich guten und bezahlbaren Speisekarte. Es fehlt aber an allen Ecken wie so oft heute in solchen Orten das Leben. 


Für die Nacht muss der Chronist den Ort verlassen und an die vierspurige Hauptstraße. Da kommt er in einem dieser Inns unter, Zimmer mit Abmessungen von Doppelgaragen. Also Rennrad mit hinein. Die Betten sind so groß, dass vierköpfige Familien drin übernachten könnten. Sie sind dazu mit Kissen überhäuft, die ganzen Schulklassen für wilde Schlachten ausreichen. Der Chronist wird in seinem Leben die Größeneinteilung nicht mehr lernen, was ist nun Queen und was King? Er genießt. Bis morgen. Munter bleiben.


TBJ_99 I did it my way (even on a highway)

Liebe Follower, eine letzte Post vom Chronisten. Wer immer auch bis hierhin mitgereist ist. Schön, dass es euch gibt. Man ist ja ungern alle...