Donnerstag, 30. Mai 2024

TBJ_12 Einfach mal die Fresse halten

Entschuldigung. Der Einstieg ist pöbelhaft und der Chronist hofft dennoch, dass die AI auch eine treffende Übersetzung für den englischsprachigen Teil findet. 

Der Chronist sitzt erneut im Greyhound, den er in Denver ohne Mecker besteigen durfte. In einem Muster von Busstation mitten in der Stadt, im Keller des alten, majestätischen, ausgezeichnet renovierten Amtrak Bahnhofes. Er ist heute bei weitem nicht alleine, sondern in illustrer Gesellschaft. 



Das kann Stunden dauern, tat es auch. Am Ende den Ausstieg verpasst und zu weit gefahren


Alle werden von der resoluten Busfahrerin barsch und eindringlich ermahnt, Kopfhörer zu benutzen. „Keiner will hören, was du hörst!“ An der nächsten Haltestelle verkündet sie zehn Minuten Pause. „Glaub ja nicht, ich fass dich drinnen (Raststätte) bei der Hand und erzähl dir, die zehn Minuten sind um.“


Zuckerwasser Melkstand, bei so viel Auswahl können zehn Minuten schon mal eng werden

Warum diese rotzige Überschrift? Sie kam dem Chronisten vor einer Weile und will ihn nicht verlassen. Er sitzt heute neun Stunden im Bus, er hat schon viele Stunden im Bus gesessen und das Land betrachtet, er hat einige Entfernungen körperlich abgemessen und Google Maps ist seine tägliche Lektüre. Jetzt schaut er aus dem Fenster und sieht wieder Landschaft ohne Ende und denkt sich: Was ein riesiges Land! 


Land, Land, Land, von Denver nach Fort Laramie

Es ist ja nicht nur riesig von der Fläche her, da ist Kanada ja noch größer. Es ist auch politisch riesig durch die Anzahl Menschen darauf. Dreihundertdreißig Millionen sind dreihundertdreißig Millionen Individuen mit unterschiedlichen Interessen in ganz unterschiedlicher Umwelt. Der Chronist versteht ein bisschen vom Funktionieren von Organisationen und er hat allergrößten Respekt davor, es hinzubekommen, dass so viele Individuen wenigstens halbwegs friedlich gemeinsam einer Idee folgen, dazu Arbeit haben, satt werden, Transportmöglichkeit finden und in etwa nach ihren Vorstellungen ihr Leben gestalten können. Ob nun Mr. Trump oder Mr. Biden, man kann auch einfach mal Respekt davor haben, dass sie den Hut in den Ring werfen und sich das antun in ihrem Alter und entfernt eine Idee haben, diese Aufgabe irgendwie hinzubekommen. Und man kann getrost sein, dass sie nicht völlig schwerelos nach eigener Mütze hantieren können. Da steckt ein riesiger Apparat von Backoffice dahinter, der es fachlich drauf hat und berät und den Chef auch mal am Ärmel zupft. 

Wikipedia verrät, dass einer der engsten Mitarbeiter von Mr. Nixon gegen Ende dessen Amtszeit wegen seines Alkoholproblems alle Präsidentenentscheidungen über seinen Schreibtisch laufen ließ, um groben Unfug zu vermeiden. Sicher gilt immer, der Fisch stinkt zuerst am Kopf, aber so weit sich wir ja noch nicht. Der Chronist will darauf hinaus, es ist nicht einfach, dieses riesige Land, diese enorme Masse Leute zu regieren. Ist es da für uns, tausende Kilometer entfernt, in Ordnung sich so das Maul zu zerreißen, wie es viele im Land des Chronisten tun und fix mal Urteile absondern? Oder sollte man, wie es einer seiner ehemaligen Mitarbeiter sich zur ständigen Ermahnung an seinen Bildschirm geklebt hat, „Einfach mal die Fresse halten“? Und es den Menschen hier überlassen, wen sie an der Spitze sehen wollen? Danke  für eure Geduld, es kommt nicht so oft vor.

Der Chronist hatte Glück heute morgen. Er verlies Paris H.‘s edles Kellerverlies reichlich spät, der Körper ließ ihn nicht eher. Auf jeden Fall wollte er sich das Art Museum anschauen. Ein futuristischer Laden.



Zack, Entscheid, einmal reinschauen um die Stadt besonders in Erinnerung zu behalten. Hat dann auch geklappt. Eine liebenswerte, ältere Museumsvolontärin brachte ihn kurzerhand umsonst hinein, weil ihm selbst der Senioreneintritt für einen solchen Kurzbesuch zu viel war, sie ihn aber nicht so ziehen lassen wollte. Die Kunst drinnen war dem Chronisten für einen solch fröhlich blauen Morgen allerdings zu schwer. Die ganze Aktion hat ihm dennoch gefallen.


Nicht umsonst spielte der Denver Clan hier. Die Stadt scheint reich zu sein, war es früher und es sieht heute nicht anders aus.


Erbaut durch die Menschen, die Stadt und das County Denver

Der Chronist liest ein bisschen in Jack Kerouac von dessen Traumstadt Denver und dem wilden Leben darin 1947 und findet es heute ein bisschen arrogant.


«Wow!» Der Mann und ich hatten ein langes, angenehmes Gespräch über unsere jeweiligen Pläne im Leben, und bevor ich es merkte, rollten wir schon über die Fruchtmärkte draußen vor Denver; da waren Schornsteine, viel Rauch, Eisenbahnschienen, rote Backsteingebäude und, zur Innenstadt hin, die grauen Sandsteinhäuser. Und ich war da, ich war in Denver. An der Larimer Street ließ er mich raus. Voller Freude und mit dem dämlichsten Grinsen der Welt stolperte ich auf die alten Landstreicher und abgetakelten Cowboys der Larimer Street zu…

…war Ray Rawlins, Tim Grays Kumpel aus Kindertagen. Ray kam hereingestürmt, um mich abzuholen, und wir verstanden uns auf Anhieb. Zusammen machten wir eine Sauftour durch die Bars an der Colfax Avenue. Eine von Rays Schwestern war eine blonde Schönheit namens Babe – eine tennisspielende, wellenreitende Fee des weiten Westens. Sie…


Nach dem Vorfall mit dem Sitznachbarn, der vergessen hatte auszusteigen, gab es noch einmal eine barsche Ansage der Chefin vom Lenkrad: Jeder hat selber darauf zu achten, wo er raus muss. Sie könne nicht alle Ziele der Gäste im Kopf haben.

Der Vordermann des Chronisten kam aus Arkansas. Ein friedliebender, freundlicher Mensch. Einmal im Jahr fährt er seine Mutter in Washington besuchen, was ihn drei Reisetage und über zweihundert Dollar je Weg kostet. Ein Flug würde rund das Dreifache kosten.


Robert, lebt in einem roten, also konservativen Staat; er zögert nicht für 0-80-20

Der Chronist passt schön auf seinen Ausstieg aus. Evanston, Wyoming, einhundertdreißig interessante Kilometer von seinem nächsten Zielort, Salt Lake City, entfernt. Interessant, weil mit Relief versehen, weil er auf über zweitausend Meter Höhe schläft, weil er morgen eine Art Hängematte fährt, die am anderen Ende auf zweitausendeinhundert Meter aufgehängt ist und weil es auf den ersten fünfundsechzig Kilometern keine Versorgung gibt. Also muss er gut einpacken. 


Evanston - Salt Lake City

Das gilt auch für ihn selber, die Nachttemperatur liegt bei null Grad und bleibt bis zum Start einstellig. Da muss er sich was einfallen lassen. Erstmal ist er noch warm und preiswert in einem Motel untergebracht und textet unter weißen Laken. 

Ja, und dann ist da noch die Windrichtung in diesem Land ohne Bäume ;-)


Euch allen erstmal einen schönen Tag und gute Gedanken für die Europawahl (soweit ihr aus Europa seit). Die Anderen schauen entspannt zu. 

TBJ_11 Denver ohne Clan - Rocky Mountains mit Schnee

Weiße Laken im Souterrain bei Paris H. in Denver. Heute mal der Reihe nach. Weil der Chronist Respekt vor der Distanz hatte, verließ er Fort Morgan nach einem Kaffee und Apfel im Bett schon um sieben. Das Duschwasser vom Vortag ruhte noch in der Wanne.

Hinter den Gleisen rechts ab

Es war frisch aber irgendwie auch schön. Blauer Himmel, auf der Nebenstraße wenig Verkehr, links und rechts Landwirtschaft mit einem ausgeklügelten Bewässerungsystem. Und er hatte Rückenwind. So richtig, dass er meistens im drittgrößten Gang fahren konnte. Da singt man schon mal laut und schräg Lieder. Die Schwalben hat es nicht gestört. Auf einer Seite neben ihm brummten manchmal Güterzüge vorbei. Nördlich begleitete ihn die Interstate 76. Da, wo seine Nebenstraße in einem Schlenker die Gleise kreuzte, gab es eine Ansammlung von Häusern, ein paar Geschäfte für Farmzubehör und es gab einen Frühstücksladen nach seiner Mütze. Sauber, handmade, der einzige Gast vor ihm, war gerade gegangen.


Im Gastraum herrschte die Tochter, in der Küche hinter der Durchreiche die Mama. Ein kleiner Neffe der Saalchefin wurde jeden Morgen vom Papa hier abgeliefert, seine Mama war für ein paar Tage in Kalifornien und in dieser Häuseransammlung gab es keinen Kindergarten. Der Chronist hatte keine Ahnung, was er wollte und nahm das heutige Angebot.


Gehört zur fragmentarischen Welterkundung; er kann sich ja heute abend im Supermarkt wieder Salat holen; dafür servierte sie mit der Anrede "Here honey…"

Von ihrer Antwort auf seine Standardfrage hier in der tiefsten Provinz war der Chronist überrascht: 100 für Jesus, die beiden anderen seien doch Idioten. Sie dämpft dabei die Stimme, wohl das ihre Mama das nicht hört.


Prairie Ranch House; wer mal in der Nähe ist

Irgendwie hätte diese Wirtschaft viel mehr Publikum verdient. Mama und Tochter geben ihr Bestes.


Er hatte es nicht mehr genau vor Augen, aber letztlich ging ein Teil dieser Strecke nur über die Interstate. Das heißt so richtig Autobahn. Die Oberflächenqualität war super, die Shoulder sauber, was kein Wunder ist, wenn nebendran die LKW mit 130 km/h vorbeirauschen. Da bleiben keine Kleinteile liegen, die ihm ein Loch in den Reifen machen könnten. Eher eine Sieblinie von Stücken, bei denen der Chronist zu Fall käme, würde er sie nicht umkurven. Es war alles ein bisschen aufregend. Was würde die Polizei sagen? Nichts, es kam keine und mit den anderen Verkehrsteilnehmern hat er sich vertragen. Das Video gibt ein bisschen die Szenerie wieder.

Interstate 76

Irgendwann konnte er dann wieder eine parallel verlaufende Nebenstraße fahren. Und da hat er sich dann etwas geschämt. Er hatte Hunger und es gab nichts anderes als KFC. Also hat er sich sofort bei dem Hühnchen entschuldigt. Diese massive Überladung der Mahlzeiten mit Fleisch, meistens Huhn, erzeugt regelrecht Abneigung.


Er hat wenigstens zu der kleinsten Einheit Fleisch auf der Speisekarte Kohlsalat und Mais genommen

Dann wurde es witzig. Irgendwie piepte es um ihn, nicht verortbar aber durchdringend. Der Chronist war hier schon mal von einem Vogel angegangen worden, aber ein Vogel war nicht zu sehen. Bis er schließlich Massen Erdhörnchen entdeckte, die sich mit diesen Vogelstimmen ähnlichen Geräusch gegenseitig warnten. Der Chronist wollte authentisch sein, setzte sich an ein Loch und wollte warten, bis die Insassen wieder auftauchten. Aber der Oberaufpasser machte ein derartiges Spektakel, dass dieses Vorhaben nutzlos war.



Vielleicht montiert das Backoffice hier ein Erdhörnchen hinein ;-)

Zwischendrin tauchen neben der Bahn interessante Baustellen auf, die wohl dem Erdölfracking dienen. Riesige Lärmschutzwände umzu schirmen die Umgebung gegen die lauten Maschinengeräusche ab, die für den Förderprozess des Erdöls nötig sind. Die alten nickenden Schwengelpumpen daneben stehen still.


In Denver; nach irgendeinem Ranking des Internets die lebenswerteste Stadt der USA

Denver Clan, für die Youngsters unter euch kein Begriff, für den Chronisten sehr wohl. Glaubte er jedenfalls. Aber er hat vorsichtshalber nachgeschaut und lag daneben. Er hat früher nicht Denver Clan gesehen, sondern Dallas. Heute würde er sagen, beide Serien gehören vor Gericht wegen Zeitdiebstahls.


Was er mit Respekt und Freude schon von weitem gesehen hat, sind die Rocky Mountains. Eine Kette von Bergen mit schneebedeckten Gipfeln. Es geht aufwärts. Denver wird auch 1-Mile-City genannt, weil sie auf einer Meile über Normalnull liegt. Der Chronist kletterte ja heute von rund 1200m auf rund 1600m, gleichmäßig verteilt über die gesamte Strecke. Morgen sitzt er wieder im Bus, übermorgen wird es relieftechnisch ziemlich interessant. Colorado ist irgendwie attraktiv, ebenes Land wechselt sich ab mit sanften Hügeln, fast baumlos und jetzt noch am Horizont die Berge. Nicht diese straflagerähnliche Unendlichkeit Nebraskas.


Ankommercafe mit Sofa und Süßem

Der Chronist hat ein schickes Café in der Lounge eines Bürohochhauses gefunden, fleetzt sich nach der langen Tour in die Polster, genießt Americano und Gebäck und schaut sich drei Yuppies aus, die er gleich befragen will. Auch gespannt darauf, was die Großstadtstimme im Westen so von sich gibt. Aber er läuft glatt vor die Wand. Er hat es seiner Meinung nach höflich und verständlich vorgetragen, aber von links nach rechts lauten die Antworten: Ich wähle nicht, ich hätte gerne Nikki Healey gehabt, ich muss darüber länger nachdenken. Bei der Frage nach den Vornamen lehnen sie bestimmt ab und gehen. Ja. Gehört dazu.

Er hat ja noch den morgigen Vormittag, der Bus geht erst um zwölf. So jetzt ist die Wäsche fertig. Danach bleibt noch Zeit für einen Schlendergang durch Denver, elegante Hochhäuser, reiche, alte Gebäude, Kunst an jeder Ecke. Der Chronist hat sich zu einer fragmentarischen Welterkundung in einem deutschen Restaurant entschlossen. Es ist zwar teuer da, aber ergiebig. 


Die Gäste kommen her zur Reisevorbereitung; Currywurst für den Sitznachbarn Jack

Jack fliegt im Juli nach München und tingelt von dort nach Brüssel, einen Freund besuchen. Er liefert dem Chronisten 0-50-50, will seinen Beruf erst nach seiner Pensionierung verraten und  möchte kein Foto. Jack lebt in Chicago.

Kenyon kommt daher, wo der Chronist als nächstes hinwill: Salt Lake City

Kenyon hat damit weniger Probleme. Er reist im Oktober für zwei Wochen nach Deutschland. Eine geführte Tour. Seine Antwort lautet 100-0-0. Kenyon ist Atheist, hat zwei Kinder und arbeitet als Elektriker in der Automatisierung.

Bis morgen.


https://www.relive.cc/view/vxOQjmKrk26

Mittwoch, 29. Mai 2024

TBJ_10 Nebraska - Colorado - Sommerzeit

Hallo, der Chronist sitzt in einem der Kompressorsäle der USA, also in einem schlecht isolierten großzügigen Motelzimmer, dessen Klimaanlage für erträgliche Temperaturen ein ziemliches Getöse verursacht. Man lebt ja vom Unterschied sagt Freund Uli, also nimmt es der Chronist gelassen, dass die Mehrfarbigkeit der Türrahmen nicht gewollt, sondern abgeblätterter Farbe geschuldet ist und auch die Restpfütze in der Badewanne ruht in Gelassenheit. Dafür konnte er mal vor dem Zimmer sein Rennrad in Position bringen. Da, wo in den Filmen immer die eleganten bis vergurkten Autos abgestellt werden.

Für schmalen Taler in Ordnung

Der Chronist ist in Fort Morgan angekommen, einer weiteren Kleinstadt im mittleren Westen der USA. Sein Startort für morgen, für Denver. Mal sehen, was der Clan so macht. Er hat zum zweiten Mal in kurzer Zeit eine Stunde gewonnen. Das, was zu Hause als Umstellung zur Sommerzeit regelmäßig bejammert wird. 

Und er ist jetzt in Colorado, das ihm bisher nur in Lakritzform ein Begriff war. Wenn Nebraska baumlos und platt war ist Colorado zwar auch baumlos, aber keinesfalls platt. Eine riesige, eiszeitlich sanft gewellte Landschaft aus sandigem Boden, der mit gewaltigen Beregnungsapparaten landwirtschaftlich genutzt wird. Weil der Mais noch klein ist, sind die höchsten Pflanzen Salbeibüsche, die sich mit ihren weißlich hellgrünen Blättern aus der kargen Graswelt hervorheben. Völlig schwarze Rinder stehen als einzelne Tupfen in diesem beeindruckenden Bild.


Der Chronist ist von der Landschaft so fasziniert, dass er erst gar keine Lust hat sich, mit der freundlichsten Busfahrerin bisher, zu unterhalten. Kati, sie hat ihn mit einem Lachen in North Platte begrüßt, hat über das Rennrad gesagt, dass sie sowas normalerweise nicht mitnimmt, aber heute hätte sie Platz. Der Chronist hatte wieder für Verpackung des Hinterteils gesorgt und hielt ihre Bemerkung eher für einen Scherz. Kati fährt für eine dem Chronisten bisher unbekannte Gesellschaft. In dem fast neuen Fahrzeug sitzen nur vier weitere Fahrgäste. Schließlich setzt sich der Chronist nach vorne auf die Stufe zum Fahrerbereich, den Hintern hinter der weißen Linie, die Füße davor und den besten Blick nach vorn. Kati findet das in Ordnung. Rechts neben ihm sitzt eine Schwarze mit unvollständiger Frontverzahnung, die von Kati immer mit Nurse angeredet wird. 


Das Gespräch verebbt, als der Chronist mit seiner Frage herausrückt und Kati kategorisch darauf verweist, dass sie nach Unternehmensvorgaben nicht über Politik, Religion und Sex reden darf. Es kostet sie ihren Job. Ok. Man bleibt sich trotzdem gewogen!

Kati, zwanzig Jahre auf Bussen 

Der Chronist möchte hier gerne noch etwas nachtragen. Er hat in dieser sorgsam gestalteten Unterkunft in North Platte bestens geschlafen und sie flößte ihm darüber hinaus irgendwie auch Ruhe ein. Oder so langsam wird der Chronist auf dieser Tour sowieso gelassener. Er hatte ja noch Zeit, und für diese hatte er sich in Google maps eine Ortserkundung gebastelt. Denn das hatte er in Wikipedia gelesen: North Platte hat den weltgrößten Rangierbahnhof, betrieben von Union Pacific. Um den überblicken zu können, hat man extra einen Tower gebaut, den Golden Spike Tower. Golden Spike war der vergoldete Nagel, mit dem man im neunzehnten Jahrhundert einen berühmten Lückenschluss des Gleises beendete.


Sowas kann man nur in einer Gegend wie hier bauen; sorry für das unergiebige Foto; das Gelbe im Vordergrund und links im Bild sind nur Lokomotiven, an die hundert

Unten im Andenkenladen traf der Chronist Kundschaft, Cheryl and Barry, die im Gegenzug für seine Story eine Anwort lieferten: 5-5-90. Chery legte vor und Barry murmelte, dass das so in etwa auch seine Meinung sei. Vielleicht nicht ganz.


Cheryl und Barry machen einen Ausflug nach North Platte; sie wohnen 120 Meilen weiter nördlich

Auf dem Weg lag noch ein Eisenbahnmuseum, das eigentlich nur aus zwei Objekten und einem Bahnwärterhäuschen bestand, es aber insgesamt in sich hatte. 

Der Chronist war außerordentlich  dankbar für diesen Zufall und für die freundlichen Erläuterungen des Wärters; sie waren allein auf dieser schönen Anlage.


Monster aus Stahl

An dieser Stelle macht der Chronist auch mal einen Versuch etwas mehr Eindruck zu liefern, wo er gerade ist. Und diese Kleinstadt North Platte, die sich so erbärmlich schwer erobern ließ, hat es ihm irgendwie angetan. Was man in Wikipedia sonst eher nicht zu Orten findet, las er hier: Angaben zum Durchschnittseinkommen. Und das liegt in dieser Stadt salopp gemittelt bei 30000 Dollar im Jahr. Wissend, dass ein Arzt in einer amerikanischen Großstadt das zehnfache verdient, überkommt ihn eine gewisse Ratlosigkeit.

Er hat vom Rennrad aus auch noch Videos gemacht und das Backoffice kann sie hoffentlich einbinden.



Schon mal an dieser Stelle vorweg, das Backoffice hat morgen vormittag (MEZ) geschlossen und wird später liefern. Bis denne.

Dienstag, 28. Mai 2024

TBJ_09 Riding the continent - 100 km Workout

Hamilton Mack Laing hat lange vor dem Chronisten seine sechs Zentner Harley Davidson Doppelwums hier durchgeritten, 1915. Sand und Schlamm machten ihm zu schaffen. Der Chronist reitet auch über den Kontinent, aber weitaus komfortabler. Mr. Laing wäre von der präzisen Betonfahrbahn begeistert. So würde er sich nicht mehr, wegen der im weichen Sand wild herum schleudernden Maschine, am Auspuff die Innenseiten seiner Schenkel verbrennen. 

Aber auch der Chronist hatte zu leiden. Er hatte Gegenwind, 100 km präzisen Wind von vorn. Nicht streichelnd von schräg oder als Puff in die Seite oder mal als Klapps auf den Hintern. Nein, immer voll auf die Zwölf. Und so war dieser Tag kein Radtag im üblichen Sinne, es war im modernen Sprachgebrauch ein hartes Workout. 


Blaue Line und Wind; präzise Gegner

Der Chronist muss hier einmal rumheulen. Das war nicht fair! 25 km/h Wind gegen sich zu oder hinter sich zu haben sind Welten! So.


Es war kein Problem, gestern nach Mitternacht noch eine Herberge zu finden. Die Entfernungen sind so riesig, dass Betten, heißer Kaffee und ein Bier immer und überall zur Verfügung stehen. Das Bett war sauber, die Dusche hatte noch unendlich heißes Wasser und es ist ihm keine Farbe auf die Zahnpasta geblättert, obwohl die Decke danach aussah. Morgens stellte er fest, dass eineinhalb Meter vor seinem Fenster die Welt an einem Bretterzaun endete. Die tamilische Betreiberfamilie war freundlich. Er hat nur Fragmente des continental plastic breakfast verzehrt, sich auf den Weg gemacht und beschlossen, es heute entspannt zu handhaben.


Die saubere hellgraue Betonfahrbahn hat saubere Stöße. Nichts rattert. Die Oberfläche ist in Längsrichtung rilliert, die Autofahrer verzeihen ihm den Gebrauch der Fahrbahn. Das Land ist hier so eben, dass man in der Entfernung die Erdkrümmung für einen sanften Hügel hält. Tatsächlich gibt Google für zehn Kilometer Länge eine Erdkrümmung von fast acht Metern an. Und zehn Kilometer kann man nach Meinung des Chronisten überblicken. In seiner Muße überlegt er, mit welch riesigen Caterpillars die erdgeschichtliche Entwicklung hier vorgegangen ist. Oder sie hat im Prinzip des Fließestrich einmal alles mit Boden grob bedeckt, mit Wasser getränkt und mit zwei, drei Erdstößen den Brei präzise verteilt. Es ist fast unheimlich eben. 

An den riesigen Ackerschleppern, den endlosen Güterzügen neben der Straße und den massiven Getreidesilos ahnt man, was hier hauptsächlich passiert.


Arbeit, Arbeit, Arbeit

Bevor der Chronist heute in den Jammer- und Leidensmodus überwechselte, sinnierte er wie immer. Man hat ja auch Langeweile, besonders, wenn die Landschaft nichts hergibt. 

Er entwarf Reden, dummes Zeug, ventilierte Beziehungen, lobpreiste die Enkel rauf und runter, dachte über seine Kundschaft nach und probte schon mal das letzte Kapitel.


Vier Kilometer hat er auf diese Gelegenheit gewartet; eine Möglichkeit sein Rennrad anzulehnen, um Pause zu machen

Er ist froh über seine Erfindung des hopon-hopoff. Er erinnert sich an einen Bekannten, der den Mississippi von der Quelle bis zur Mündung gefahren ist, irgendwas bei 3000 km. Dessen Antwort auf die Frage des Chronisten nach drei beherrschenden Eigenschaften dieser Tour beschränkte sich auf zwei: Langweilig und abenteuerlich. Der Chronist ahnt die Langeweile und braucht sie überhaupt nicht. Er muss und will nicht Langeweile im Überfluss haben, nur um die Kilometer zu fressen. 


Er schreibt diese Zeilen in Cozad, 3000 Einwohner in dieser geplätteten Landschaft im Meridian Tap House bei Salat und Kaffee. Cozad liegt am 100sten Meridian. 


Irgendwie macht man es sich immer schön

Farmer, alte Menschen, Familien, die sich einen schönen Tag machen wollen sitzen ziemlich schweigsam und warten auf diese Essenskörbe, ausgelegt mit rotweiß karierten Servietten, in denen sorgsam dekorierte Sandwiches mit Chicken, Turkey, Bacon oder Beef serviert werden. Sie trinken Wasser oder Cola, immer mit Eis und ob Kaffee oder Kaltgetränk, jedem liegt ein Strohhalm bei. 

So, der Chronist muss weiter, er hat erst sechsundzwanzig Kilometer auf der Uhr. Kristina, die Chefin gibt ihm noch fix zwischen Papierkram ihre Antwort: 10-10-80. Sie hat nicht glauben können, dass Mr. Trump je Präsident werden könnte und das ganze für einen PR Gag gehalten. 


Kristin führt eines dieser charmanten, überall zu findenden Restaurants, die nicht einer Kette angehören

Der Wind ist widerlich und die Straße so elend gerade. Der Chronist mag gar nicht hochschauen, in der Hoffnung ein Ende zu sehen. Jedes Mal ist dieser Anblick, der in flimmernden Luftspiegelungen in der Unendlichkeit endenden grauen Linie, wie ein Peitschenhieb. Schließlich läßt er es. Unterlässt auch den Versuch, den Schnitt noch irgendwie ansehnlich zu halten. Er registriert nicht einmal besonders, als nach fünfundsechzig Kilometern die Straße einen leichten Knick macht. Er macht einfach noch mal einen Stop, Crady, 300 Einwohner und eine Tankstelle mit Minimarkt. Der beschert ihm die preiswerteste Pause bisher.


In Brady einmal satt für drei Dollar fünfzig

Auf den Brennholzpaketen für sieben Dollar das Stück verzehrt er den Einkauf. Der Anblick der Kneipe gegenüber ist ein Bestandteil des überall sichtbaren Wandels.



300 Einwohner sind heute zu wenig für eine Kneipe

Im Osten ist man ja eher schweigsam, auch auf dem Land. Aber Tagg redet mit dem Chronisten ein paar Worte. Nach dessen Einkauf fragt er ihn aus. Tagg teilt nicht auf. Er spricht Jesus alles zu und wird Trump wählen, der seiner Meinung nach viel für das Land getan hat.


Tagg ist Pensionär, lebt in Crady und hat für die Eisenbahn gearbeitet

North Platte heißt der Zielort. Platte ist Programm für diese ganze Gegend. Ein zentraler Ort für die Eisenbahn. Die einzige Stadt in dem umgebenden County. Der Chronist macht eine neue Erfahrung. Man kann auch preiswert und schön unterkommen. Ein irgendwie niedliches Motel fällt ihm vor die Füße. Fein draußen, fein drinnen.

Manager Yonn

Yonn mit seinem freundlichen Mondgesicht managt das Geschäft. Die Eigentümer sind aus. Es ist ein wirklich äußerst gemütlicher und sorgsam geführter Laden. Nach dem geschäftlichen Check in ist Yonn dran. Er findet die Frage seltsam, interessiere sich nicht für Politik und wird erst redselig, als der Chronist fragt, was er an der Politik im Moment am meisten vermisse. Niedrigere Benzinpreise. Zu Trumps Zeiten war die Gallone bei zwei Dollar dreißig und stieg dann auf zwei Dollar fünfzig. Zu Bidens Amtszeit stieg der Preis auf fast vier Dollar und liegt jetzt bei drei Dollar fünfzig. Das ist für ihn teuer. Ja, auch er mag diese Liberale gegen Konservative Diskussion nicht leiden. Würde man beide Parteien in einen Raum sperren, käme es sicher zu Prügeleien.  Am Ende bietet er dem Chronisten 50-25-25. Der hat die Idee, dass Yonn als Nativ Person mit Jesus nicht viel anfangen kann. 


Aus einer Eingebung heraus hat der Chronist zu Hause im Drogeriemarkt sein schmales Gepäck um eine Einzelportion Entspannungsbad ergänzt. Fast alle amerikanischen Bäder haben auch wirklich noch eine Badewanne. So auch sein niedliches Motel. Er genießt nach dieser Quälerei heute einmal blaue Entspannungssuppe. 


https://www.relive.cc/view/vNOP7kdPX2v

Morgen hat er ja bis ein Uhr Zeit. Er wird sein Publikum durch diese Kleinstadt führen. Aus den amerikanischen Serien oder Filmen kennt er so etwas eher nicht. 

Jack Kerouac trampte 1947 in Gesellschaft auf der Ladefläche eines offenen Lasters durch North Platte. Weil der Laster keine Seitenklappen hatte, und wegen der schlechten Straße waren sie ständig in Gefahr herunter zu fallen.


Montana Slim und die beiden Highschool-Typen wanderten mit mir durch die Straßen von North Platte, bis wir einen Schnapsladen fanden. Sie warfen was dazu, auch Slim, und ich kaufte eine Flasche. Hochgewachsene Männer mit mürrischen Mienen beobachteten uns aus Häusern mit falschen Stuckfassaden; die Hauptstraße war gesäumt von quadratischen Schachtelhäusern. Endlose Ausblicke auf die Prärie öffneten sich hinter jeder der traurigen Seitenstraßen. Ich spürte, dass in der Luft von North Platte etwas anders war, aber ich wusste nicht, was es war. Fünf Minuten später wusste ich’s. Wir stiegen wieder auf den Laster und brausten los. Es wurde rasch dunkel. Wir tranken alle einen Schluck, und als ich mich umschaute, waren die grünen Felder am Platte River plötzlich verschwunden, und stattdessen sah man, so weit das Auge reichte, weite Ödlandflächen, nur Sand und Gestrüpp. Ich staunte. «Was zum Teufel ist das?», schrie ich zu Slim hinüber. «Das ist Weideland, Mann. Gib mal die Flasche rüber.»


Allen einen schönen Tag und gutes Gelingen.


TBJ_99 I did it my way (even on a highway)

Liebe Follower, eine letzte Post vom Chronisten. Wer immer auch bis hierhin mitgereist ist. Schön, dass es euch gibt. Man ist ja ungern alle...